Carlo Siebert
Internetagentur - Adwords Freelancer
Inhaber
Man gewöhnt sich an allesUnbekannt
Es ist mal wieder eine Frage der Perspektive. Manche nennen Google Remarketing eine sinnvolle und clevere Ergänzung zur Google AdWords Werbung und Website-Optimierung. Als Besucher, etwa in einem Online-Shop, sieht das schon anders aus, wenn dieser sich Tage später beim Surfen mit einem speziellen Online-Banner konfrontiert sieht und darüber nun doch noch zum Kaufabschluss animiert werden soll. Was ist es das nun: Ein geniales Marketing-Tool oder der fast schon unverschämte Versuch, dem Kunden doch noch in die Brieftasche zu greifen? Carlo Siebert ist zertifizierter Google Experte und Seminarleiter bei der IHK- bzw. HWK in Frankfurt an der Oder und hat dazu seine eigenen Ansichten.
Carlo, seit wann gibt es Remarketing und was für ein Prozess läuft dabei ab?
Carlo Siebert:
Remarketing bzw. Retargeting als Idee gibt es schon seit es Marketing als solches gibt. Wenn wir mal überlegen, dass es schon Werbepost von Katalog-Versendern gab, die Ihre Post auf mein Kaufverhalten angepasst haben. Ob es nun ein Beileger war, der nur mit Unterwäsche oder Männermode warb reicht schon.
Dank des Internets und der Daten, die wir im Netz hinterlassen lässt sich das ganze Spiel natürlich extrem ausreizen. Das geht soweit, dass man ein Double von mir erstellen kann: Wenn ich über eine Anzeige bei Facebook ein Angebot wahrgenommen habe, dann kann Facebook auf Personen, die mir sehr ähnlich sind (Alter, Geschlecht, Wohnort, gleiche Interessen, gleiche „Likes“ gegeben etc.) weitere Personen identifizieren, für die das Angebot wahrscheinlich auch interessant wären.
Diese bekommen dann das gleiche Angebot und reagieren darauf wahrscheinlich eher als andere Personen.
Im Prinzip geht es beim Remarketing um folgendes: Ich habe mich für ein Angebot interessiert oder eine gewisse Handlung auf einer Seite ausgeführt (z. B. Habe ich einen Text sehr lange gelesen oder mir ein Produkt angeschaut). Danach verlasse ich die Webseite (weil ich mir nicht sicher bin oder das Produkt sehr teuer ist).
Durch einen Cookie, der auf meinem PC/Tablet/Smartphone gesetzt wurde, bin ich identifizierbar (weiter ins Technische will ich nicht gehen). Andere Webseiten (z. B. Wetter.com) erkennen an meinem Cookie, dass ich potentielles Interesse an einem Produkt gezeigt habe. Nun bekomme ich Werbung ausgespielt, die mir das Produkt wiederum zeigt oder Werbung, die auf andere interessante Dinge hinweist.
Für wen ist Remarketing besonders interessant und vielversprechend?
Carlo Siebert:
Eigentlich für alle, die ein Angebot haben und dieses nicht beim ersten Kundenkontakt verkauft bekommen. Man kennt es von Shops und Buchungsportalen für Reisen. Aber es können selbst Blogs machen. Habe ich als Autor eines Blogs einen Artikel (Hundefutter), der regelmäßig viel und qualitativ hochwertigen Traffic liefert, dann kann man mit Remarketing arbeiten.
Im Detail würde man wie folgt ran gehen: Ich habe eine Liste mit Usern, die sich für meinen Artikel (Hundefutter) interessiert haben. Nun schreibe ich einen ähnlichen Artikel (Hundespielzeug) und denke, dass er für die gleiche Zielgruppe interessant sein könnte. Mittels Remarketing kann ich nun der Zielgruppe sofort meinen Artikel zeigen. Mittels Teaser (in diesem Fall wären das Remarketing-Grafiken) sieht die Zielgruppe dann den Hinweis auf ein tolles Hundespielzeug.
Remarketing-Traffic konvertiert in der Regel sehr gut – zum Beispiel könnte dies eine Newsletter-Anmeldung sein, weil die Zielgruppe schon Interesse gezeigt hat. Koppeln kann man das dann z.B. auch noch an Youtube-Videos – der Fantasie sind so gesehen keine Grenzen gesetzt.
Ist Remarketing grundsätzlich immer an eine Kampagne gekoppelt und wie sieht es mit den Kosten aus?
Carlo Siebert:
Wie meinst du das mit „an eine Kampagne gekoppelt“? Remarketing kannst du über viele Anbieter ausspielen lassen. Die bekanntesten sind wohl Google Adwords und Facebook. Zu Adwords zählt noch Youtube – das erhöht die Reichweite noch zusätzlich.
Weitere Anbieter für den professionellen Bereich sind z.b. Adroll oder Criteo. Die Kosten würde ich mal als moderat einschätzen bzw. gering. Es ist immer Ansichtssache – klar, aber wenn man das in das Verhältnis zu anderen Kampagnen bringen will, dann sind die Kosten bis zu 5mal geringer bei bis zu 2-3mal besseren Conversion-Rate.
Klingt jetzt nach einem Wundermittel, aber man darf nicht vergessen, dass es im Schnitt viel weniger Conversions sind.
Die Conversion-Rates sollen überdurchschnittlich hoch sein. Kannst Du das aus Deiner Praxis bestätigen?
Carlo Siebert:
Ja, gerne gebe ich auch dazu ein anschauliches Beispiel. Ein Kunde aus der Versicherungsbranche möchte Leads für sein Angebot gewinnen. Aktuell sind die regulären Kosten pro Lead bei 40,99€ (Suchnetzwerk) bzw. 32,08€ (Displaynetzwerk) – was für das Angebot und die Versicherung ein relativ guter Wert ist.
Aber ein Blick auf die dritte Kampagne (entschuldige bitte, dass ich die Kampagnennamen herausgenommen habe) zeigt bessere Kennzahlen. Dabei handelt es sich um eine Remarketing-Kampagne. Die Kosten pro Lead sind um die Hälfte geringer, die Conversion-Rate ist höher.
Diese Werte variieren natürlich immer je nach Angebot, nach Zielgruppe und nach dem eigentlichen Ziel (Leads, Verkäufe, B2B oder B2C etc.). Ich muss auch erwähnen, dass die Remarketing-Grafiken wesentlich für den Erfolg verantwortlichen sind.
Wie schätzt Du den Eindruck ein, den Remarketing bei den Website-Besuchern hinterlässt?
Carlo Siebert:
Eine schöne Frage! Niemand möchte verfolgt werden und wir Deutsche sind prinzipiell sehr froh, wenn unsere Daten sicher sind. Niemand soll wissen, was wir mögen oder wollen – außer wir geben es freiwillig preis.
Nun ist es bei Remarketing ja so, dass das Internet uns genau zeigt was unsere Interessen sind. Wir werden damit regelmäßig auf anderen Webseite konfrontiert. Das gefällt den meisten nicht. Besonders nicht, wenn man bemerkt, dass es Angebote sind, die WIRKLICH auf dem basieren, für was ich mich ein Tag vorher interessiert habe. Im Bereich B2B ist das ganz Interessant.
Zum einen kann durch Remarketing der Eindruck entstehen, dass man sich vor ein paar Stunden mit einer Firma beschäftigt hat, die wohl große Marketingbudgets haben muss. Auf jeder Seite sieht man nun Werbung dieser Firma – sie scheinen wohl vieles richtig gemacht und wären der perfekte Partner. Jedoch sieht diese Werbung niemand anders. Das fehlende Wissen über Remarketing-Technologien lassen es so wirken, als sei die Firma eigentlich ein großer Konzern mit viel Geld.
Es kann sich aber auch ganz schnell umkehren zu: „Diese Werbung beginnt mich zu nerven!“ – 5 aufeinanderfolgende Tage sieht man nur noch die Werbung dieser Firma. Das kann schließlich in einem unangenehmen Telefonat enden, dass eben jene Firma doch bitte nicht so aufdringlich und verfolgend werben soll …
Angeblich sollen Werbende auch den Vorteil von Tausenden kostenloser Impressions (Werbeeinblendungen) haben. Stimmt das und wie kann das sein?
Carlo Siebert:
Ja, diesen Vorteil gibt es und man kann ihn auch messen. Es gibt zum Beispiel bei Adwords die Funktion, dass man sich Conversions anzeigen lassen kann, bei denen vorher ein Werbemittel gesehen wurde. Die Conversion kam aber auf einem anderen Wege zustande. Das bedeutet, dass die Anzeige (vielleicht) einen Einfluss auf den User hatte.
Welches psychologische Moment greift beim User, wenn er mit dieser speziellen Display-Banner-Werbung konfrontiert wird?
Carlo Siebert:
Da gibt es mehrere Phasen. Nehmen wir mal als Beispiel, dass ein User auf einer Reiseplattform gestöbert hat:
#1 „Ah ja, Werbung mit schönen Urlaubszielen“ – der User nimmt die Werbung zufällig wahr und wird wieder an seine letzte Recherche für den nächsten Urlaub erinnert
#2 „Ach, ulkig – zufällig habe ich mich ganz stark für New York interessiert und hier sind ein paar New York Angebote abgebildet“ – der User denkt noch, dass es ein Zufall sei ausgerechnet New York zu sehen. Die Reiseplattform hat nämlich festgestellt, dass der User im Schnitt 30 Sekunden länger auf New York-Angeboten geblieben ist als auf Mailand.
#3 „Also das New York Angebot sieht gut aus – ich glaube das sollte ich mir mal anschauen, bevor die Preise wieder höher sind“ – der User hat angebissen. Nun kommt der Klick auf die Anzeige und vielleicht auch die Conversion. Bis jetzt lief es so, wie es soll und alle Parteien sind zufrieden. Der Anbieter und der User, der ein tolles Angebot wahrgenommen hat.
Jetzt sollte die Werbung eigentlich aufhören. Wenn das Remarketing nicht korrekt eingestellt ist, hört die Werbung allerdings nicht auf – oder der User hat nicht convertiert.
#4 „Warum verfolgt mich die Werbung überall hin?“ – das ist der kritische Punkt, wo Werbung anfängt unheimlich zu werden, weil sie ganz bewusst wahrgenommen wird. Jetzt kann man mit seiner Marke negativ auffallen und die Wahrscheinlichkeit für einen Abschluss wird sogar geringer. Auch das Meiden eben jener Webseite ist möglich.
Glaubst Du, dass der Effekt von Remarketing sich in dem Maße „abnutzen“ wird, in dem die Anzahl der Firmen, die es einsetzen, steigt?
Carlo Siebert:
Ja, ganz klar. Man gewöhnt sich an alles. Und wenn wir es gewohnt sind immer passende Angebote zu bekommen, dann reagieren wir irgendwann nicht mehr darauf.
Wie das jetzt psychologisch abläuft, kann ich sicher nicht zufriedenstellend beantworten. Aber es gibt sicher genügend Studien. Zu dem Thema gibt es einen schönen Beitrag, der dieses Thema behandelt. http://andrewchen.co/the-law-of-shitty-clickthroughs/
Siehst Du auch Vorteile für den Kunden, der so wieder auf die Webseiten oder Online-Shops zurückgeholt werden soll?
Carlo Siebert:
Da kann ich nur mit einer persönlichen Meinung antworten. Denke aber, sie trifft sich mit der Meinung von vielen.
Wenn ich also die Wahl habe zwischen Werbung, die absolut nicht auf meine Person/Interessen passt oder Werbung, die mir Dinge zeigt, die mich interessieren könnten (Eine Hose, in meiner Lieblingsfarbe und von meiner Lieblingsmarke), dann wähle ich Letzteres.
Da man der Werbung leider nicht entkommt oder entkommen wird (Adblocker – Okay, aber auch da wird es irgendwann nur Speziallösungen geben, die Werbung effektiv blockt), soll sie wenigstens nicht komplett irrelevant für mich sein.
Gute Werbung/Marketing zeigt mir Dinge auf, die ich vorher nicht kannte und verkauft mir Sachen, die mein Leben verbessern und vereinfachen. Prinzipiell also eher ein grundsätzliches Problem, dass in vielen Fällen nur Mist beworben wird.
Unkritisch oder grenzwertig? Wie ist Deine persönliche Meinung zu unserem Thema?
Carlo Siebert:
Klingt zwar etwas komisch, weil ich „befangen“ bin. Allerdings finde ich es besser, wenn ich Angebote zu sehen bekomme, die interessant für mich sein könnten.
Zu oft bekomme ich Werbung zu sehen, die komplett am „Thema“ vorbei ist. Remarketing kann ja auch noch mehr. Zum Beispiel wenn ich während meiner Recherche nach einem Produkt später ein alternatives Produkt (welches aber besser zu meinen Anforderungen passt) zu sehen bekomme, bin ich dankbar dafür. Ohne diese Art von Werbung hätte ich vielleicht nie zu diesem Produkt gefunden.
Aus Sicht des Datenschutzes finde ich das Thema allerdings nicht sonderlich erfreulich. Zwar handelt es sich um Maschinen, die sich nicht für den einzelnen Menschen interessieren – sondern nur für Menschengruppen mit gleichen Merkmalen – aber dennoch schwingt in den meisten Fällen ein ungutes Gefühl mit. Remarketing ist allerdings das kleinere Übel. Bei dem NSA Skandal, der fast vergessen ist, ging es um einzelne Menschen und nicht Gruppen. Das ist nicht in Ordnung.
Vielen Dank für das Interview Carlo!