Hans Habegger

Hans Habegger

mc² mittelstand consult
Inhaber/Geschäftsführer


Wir brauchen moderne Führungskulturen die auf dem Prinzip der Wertschätzung beruhenHans Habegger

Die Adenauer-Ära. Damals war die Welt noch in Ordnung. Für alle? Nein, aber zumindest für die Chefs und Direktoren, wie man sie damals auch gerne nannte. Geführt und gelenkt wurde von oben nach unten und was man „oben“ sagte, wurde „unten“ auch gemacht. Ohne Diskussionen. Und dann kamen sie, die 68er und stellten die Welt, auch die der Führungskräfte, auf den Kopf. „Laisser-faire“ und „kooperative Führungsstile“ wurden gefordert, gefunden und auch eingeführt. Die Kinder dieser Revolution sitzen heute in den Chefetagen vieler Unternehmen. Mit welchen Auswirkungen? Und: Sind die Führungsstile der Gegenwart wirklich besser und effizienter – auch für die Mitarbeiter? Fragen an Hans Habegger von mc² mittelstand consult, der mit seinen Partnern Unternehmen hilft, Führung(sleistung) effektiver zu machen.

Herr Habegger, welche Denkfehler machen Führungskräfte heute zu oft?

Hans Habegger:

Mein Eindruck ist, dass bei den vielen Denkfehlern, die wir im Führungsalltag feststellen können, einer besonders herausragt. Nämlich, dass Führung sich darin erschöpft, Rahmenbedingungen zu definieren, Prozesse und Methoden vorzugeben und Ziele zu definieren.

Das hat nichts mit Führen von Menschen zu tun. Es mag Bedingungen geben, unter denen auf diese Weise hohe Qualität produziert wird. Ich denke da an den Produktionsbereich. In anderen Bereichen allerdings führt das dazu, dass die Führungskraft nichts oder sehr wenig über die Effektivität/Effizienz der Mitarbeiter weiß. Wenn dann etwas schiefgeht, wenn ein Fehler auftritt, sind diese Führungskräfte schnell hilflos und werden autoritär.

Das ist die Folge dieses Denkfehlers. Es gibt natürlich Situationen, in denen dieser Führungsstil sehr angemessen ist, es kommt da aber auf das Wie an. Anweisend mit Wertschätzung statt autoritär mit Abwertung.

Sind wir hilflos, wird dieser Führungsstil typischerweise in abwertender Form verwendet. So fühlen sich dann auch die Mitarbeiter, mit allen Folgen für deren Engagement. Anweisungen geben gehört zu den sinnvollen Führungsstilen, und da macht halt der Ton die Musik.

Führung in offen und in geschlossenen Systemen. Worin liegt der Unterschied?

Hans Habegger:

Lassen Sie es mich einfach sagen: Offene Systeme ermöglichen im Idealfalle die freie Entfaltung des Mitarbeiter-Potenzials. Diese Systeme sind dadurch in der Lage, flexibel auf Anforderungen von außen zu reagieren.

Diese Durchlässigkeit ist Kennzeichen offener Systeme. Hier sind Führungskräfte gefordert, situativ Ihren Führungsstil an die Fähigkeit des Mitarbeiters in Bezug auf eine konkrete Aufgabe anzupassen. Das macht Führung zu einem anspruchsvollen Handwerk. So geführte Mitarbeiter sind engagierter, kreativer, erfolgreicher, zufriedener.

In geschlossen Systemen erscheint Führung einfacher, weil ein hohes Maß an Regeln und Vorschriften den Spielraum der Mitarbeiter einengen. Es wird erwartet und eingefordert, dass der Mitarbeiter sich an diese Regeln hält.

Der vorherrschende Führungsstil ist autoritär, Nichterfüllung der Erwartungen und Fehler werden sanktioniert. In dieser Führungskultur gedeiht Engagement und Kreativität eher selten.

Warum empfinden Sie es als paradox, wenn Unternehmensleitungen sagen: „Einen autoritären Führungsstil wird es bei uns nicht geben.“

Hans Habegger:

Die Formulierung selbst stellt ja bereits eine autoritäre Anweisung dar. Wenn das demjenigen, der diesen Satz sagt (Es ist das Zitat eines Aufsichtsrates in einer Veranstaltung) nicht bewusst ist, gehe ich davon aus, dass er sich auch im Alltag nicht darüber bewusst ist, wenn er sich autoritär verhält.

Und ich bin überzeugt, dass es im unternehmerischen Alltag viele Situationen gibt, in den es sinnvoll ist, in angemessener, will heißen wertschätzender Form, Anweisungen zu geben, also in diesem Sinne autoritär zu sein.

Ein Schwächen der Führungskraft, indem ich sie durch diese Aussage um den direktiven Führungsstil beraube (sie also „kastriere“) führt in der Praxis zu verminderter und ineffektiver Führungsleistung.

Beliebt, dem Zeitgeist entsprechend und deshalb die einzige Option: Der kooperative Führungsstil?

Hans Habegger:

Wenn ich Führungskräfte frage, was Sie damit meinen, ist die typische Antwort: „Die Mitarbeiter einzubeziehen“. Ich frage dann weiter: „In alle Entscheidungen?“ Dann ist die Antwort: „Das geht ja nicht.“ Oder: „Natürlich nicht.“ Damit ist doch der Mythos schon entlarvt. Ich kenne keine Firma, in der ausschliesslich und umfänglich kooperativ geführt wird, selbst wenn die Unternehmen das in ihren Werten formulieren. Es braucht ein Set von Führungsstilen von anweisend bis delegierend, um den unterschiedlichen Aufgaben und Erfahrungen der Mitarbeiter gerecht zu werden.

Viele wissen schlicht nicht, wie es dazu kam, dass der kooperative Führungsstil alternativlos glorifiziert wurde: Kurt Levin (gest. 1948) hat 3 Führungsstile definiert – autoritär, kooperativ und „laisser faire“. Berücksichtigt man den historischen Kontext in dem Levin diese Stile definierte, wird klar, warum der autoritäre Stil insbesondere in Deutschland in Verruf geraten ist.

Autoritär als Führungsstil wurde spätestens Ende der 60er endgültig zum Tabu, einer der Slogans war ja „keine Macht für Niemand“. „Laisser faire“ im Sinne den Mitarbeiter machen zu lassen wurde auch negativ konnotiert. Also bleibt kooperativ.

Es fiel nicht weiter auf, dass weder die konkrete Situation, noch der Mitarbeiter mit seinem aufgabenbezogenen Know-How für diesen Führungsstil bedeutsam sind. Deswegen spricht man von einem eindimensionalen Führungsstil. Mehrdimensionale Führungsmodelle, die Aufgabe und diesbezügliches Know-How des Mitarbeiters in die Wahl des Führungsstils einbezogen, wurden erst später entwickelt. In diesen moderneren Modellen kommt der kooperative Führungsstil als Begriff gar nicht mehr vor.

Was verstehen Sie unter einer Überbetonung des kooperativen Führungsstils? Ein Beispiel aus der Praxis bitte.

Hans Habegger:

Schauen Sie auf die Klagen über die überbordende Anzahl an Meetings und auf die dazugehörigen Klagen, dass viel geredet, aber wenig umgesetzt wird etc.

Aus unsere Sicht sind das die negativen Folgen der Übertreibung dieses Führungsstils. Führungskräfte trauen sich ja kaum noch, eigene Entscheidungen zu treffen. Alles muss mit dem Team, der Abteilung besprochen werden. Entscheidungen werden verschoben. Ist jemand mit der Mehrheitsentscheidung nicht einverstanden, engagiert er sich nur zum Teil oder gar nicht. Und der Gruppendruck nimmt zu, die Tendenz, sich den Wortführern anzupassen führt nicht unbedingt zu den besten Entscheidungen. Wertschätzung bleibt da ebenfalls auf der Strecke.

Grundsätzlich: Positives, wenn wir es übertreiben, hat negative Folgen. Das trifft auch zu, wenn wir den kooperativen Führungsstil alternativlos glorifizieren. Damit haben Führungskräfte für ihren Alltag lediglich einen Führungsstil. Das ist, als würden Sie einen Arzt bitten, mit dem Küchenmesser zu operieren und jegliches andere Instrumentarium verstecken.

Praxisbeispiel:

Die Überbetonung des koop. Führungsstils führte bei einem unserer Kunden zu einem Mangel an klarem und konsequentem Führungsverhalten. Die Folge: Es entstand ein „Führungsvakkum“, das durch einen „informellen“ Führer ausgefüllt wurde, der in sehr abwertender Form mit Mitarbeitern umging, nicht nur in seiner eigenen Abteilung. Damit ging Führungsakzeptanz und Effektivität insgesamt verloren.

Wie gelingt es, bei Mitarbeitern das Verständnis dafür zu wecken, dass die Steuerung eines Unternehmens ohne Einflussnahme unmöglich ist.

Hans Habegger:

Da drücken Sie sich ja auch um den Begriff „Autorität“.

Wenn ich Mitarbeitern die Frage stelle, wie sie geführt werden möchten, wenn sie bei einer Aufgabe wenig bis keine Erfahrung haben, dann stimmen sie schnell zu, dass sie konkrete Anweisung brauchen.

Schwieriger ist es mit dem „Bundestrainer-Effekt“. Genauso, wie es im Fußballstadion 60000 Bundestrainer gibt, gibt es in jedem Unternehmen ganz viele, die es besser wissen als die Führungskräfte – bis hin zum Vorstand/zum Geschäftsführer. Da hilft es oft, auch mal zu fragen, inwieweit sie, die Mitarbeiter, die Zukunft vorhersagen können. Das ist jetzt verkürzt dargestellt, aber diese Diskussion, nämlich das jeder Business-Plan nichts anderes ist, als der gestützte Blick in die Kristallkugel, führt oft zur Einsicht. Und: wenn man sie fragt, ob sie als Inhaber oder Führungskraft Einfluss nehmen wollten, ist die spontane Antwort immer ein: „Ja, natürlich!“

Ich habe auch noch keine Mitarbeiter getroffen, die in wirklich alle Entscheidungen einbezogen sein wollten. Der Realitätssinn der Mitarbeiter wird da meiner Meinung nach unterschätzt. Mitarbeiter haben ein gutes Gefühl für das rechte Maß an Einbindung und können in der Regel gut zwischen Einflussnahme auf Entscheidungen innerhalb ihres Verantwortungsbereichs und Unternehmensentscheidungen unterscheiden.

Was erleben Sie immer wieder, wenn Führungskräfte ihres „Handwerkszeugs“ beraubt werden?

Hans Habegger:

Wenn wir von Führungskräften fordern, dass sie ausschliesslich kooperativ (heute spricht man auch von „demokratisch“) führen sollen, machen wir sie aus meiner Sicht hilflos. Wie bereits beschrieben nimmt die Anzahl der (ungeliebten) Meetings zu, die Umsetzung von Entscheidungen lässt zu wünschen übrig, Führungskräfte sind schlecht informiert, weil sie Angst haben, dass Nachfragen als Kontrolle verstanden wird.

Wenn es dann nicht so läuft, wie es soll, führt diese Hilflosigkeit zu stressbedingtem „ausrasten“, d.h. die Führungskräfte werden abwertend autoritär. Das genau aber führt zur Diffamierung des eigentlich sinnvollen autoritären Führungsstils – an der richtigen Stelle, auf eine angemessene Art und Weise praktiziert.

Ohne das „Handwerkszeug“, also einem Set an situativ zu verwendenden Führungsstilen, wird weniger geredet, weniger geführt, Mitarbeiter arbeiten weniger effektiv, ihr Engagement ist reduziert.

Wie sehen Ihre Empfehlungen und Lösungsvorschläge aus, wenn Sie Unternehmen beraten?

Hans Habegger:

Es gibt viele gute und sinnvolle Führungskonzepte, die moderner sind, als jenes von Kurt Levin. Wir empfehlen unseren Kunden, das Konzept „Situatives Führen“ von Ken Blanchard in die Führungskultur zu integrieren. Hier sind 4 Führungsstile definiert (anweisend, trainierend, beratend, delegierend), die in Abhängigkeit vom Entwicklungsgrad des Mitarbeiters in Bezug auf eine konkrete Aufgabe bestimmt werden. Der Entwicklungsgrad wiederum wird bestimmt vom Know-How des Mitarbeiters und seiner Motivation, immer in Bezug auf die eine konkrete Aufgabe.

Dieses Konzept passt in die unterschiedlichsten Firmenkulturen, es verschiebt sich lediglich die Gewichtung der Führungsstile.

Und schliesslich: Wir empfehlen, Führung als Handwerk zu verstehen und insofern Führungskräfte mit dem richtigen Handwerkzeug auszustatten. Die Idee vom „zum Führen geborenen“ Menschen hat nun wirklich ausgedient. Führen kann man lernen.

Ihr Fazit bitte. Ein Umdenken, auf allen Ebenen, tut not?

Hans Habegger:

Ja unbedingt. Wir brauchen moderne Führungskulturen die auf dem Prinzip der Wertschätzung beruhen (als positive Grundhaltung zum Mitarbeiter verstanden und nicht missverständlich als Lob und Anerkennung) und Mitarbeiter situativ führen. Und diese Entwicklung muss in der Geschäftsleitung beginnen und von dort aktiv unterstützt werden.

Alle Projekte, in den dies – trotz aller Warnungen – nicht der Fall war, sind aus unserer Sicht als gescheitert zu betrachten. Das Ergebnis der Veränderung ist dann schlechter als vorher. Die Prognose der Skeptiker/Widerständler „das wird eh nix“ erfüllt sich.

Vielen Dank für die klaren Worte Herr Habegger!