Annette Piechutta

Annette Piechutta

Autorin und Ghostwriterin
Inhaberin


Schreibe jeden Satz so, dass man neugierig auf den nächsten wirdWilliam Faulkner

„Der Tiger im Nacken“, „Endlich nicht mehr blond“, „Ich bin verrückt, aber keine Verrückte“. Das sind nur drei von bisher über vierzig Buchtiteln, an denen Annette Piechutta federführend beteiligt war. Und dies im wörtlichen Sinne. Annette Piechutta ist eine gefragte Autorin und Ghostwriterin. Als solche gibt sie Menschen eine Stimme, die in ihrem Leben Erschütterndes, Dramatisches oder auch einfach nur etwas Besonderes erlebt haben. Sie bringt Lebensgeschichten, von denen vielleicht sonst niemand erfahren würde, auf die Bühne. Für die Protagonisten dieser Geschichten ist das eigene Buch oft wie ein Befreiungsschlag, manchmal auch eine Bilanz ihres Lebens. Aber: Eine Geschichte zu haben, ist das eine, diese auch einfühlsam und spannend zu erzählen, etwas ganz anderes. Wie dies gelingt, erzählt Annette Piechutta in diesem Interview.

Frau Piechutta, sprechen Sie doch bitte über den Teil Ihrer Lebensgeschichte, der Sie zur Ghostwriterin werden ließ.

Annette Piechutta:

Ich hatte beruflich immer viel mit Texten zu tun: wirtschaftspolitische Reden, Pressetexte, Textkonzeptionen. Mein Traum war die Selbstständigkeit, vom Schreiben leben zu können. Irgendwann suchte ich nach einer früheren Schulfreundin, zu der ich den Kontakt verloren hatte, und fand heraus, dass sie schwer verletzt im Krankenhaus lag. Ich rief an und wir sprachen lange zusammen. Das, was sie erzählte, klang eindrucksvoll, einfach unglaublich, und ich dachte: So ein Leben muss man doch aufschreiben!

Das tat ich dann auch. Dieses erste Buch war aber eher eine Katastrophe, ziemlich unprofessionell. Denn es macht einen Unterschied, ob ich einen sachlichen Text schreibe oder einen Schmelztiegel schaffen, die Spannung halten und Emotionen rüberbringen muss. Ich recherchierte im Internet, erfuhr von einer Ghostwriterin in Berlin, die sich Biografikerin nannte und sehr erfolgreich war. Aha, dachte ich, das ist ja interessant. Ab da war für mich klar, dass ich einen ähnlichen Weg gehen würde.

Danach krempelte ich mein Leben um, arbeitete in meiner Freizeit mit einer Mentorin zusammen, die meinen Schreibstil perfektionierte, tauschte mich mit angesehenen Autoren aus, knüpfte Kontakte zu Lektoren, Verlagen, baute ein Netzwerk auf. Und nachdem ich mich mehrere Jahre auf die Selbstständigkeit vorbereitet hatte, setzte ich meine Pläne in die Tat um. Ich kündigte meinen Job, zog von München in meine Heimat Petersberg bei Fulda, da es in der Mitte Deutschlands liegt und mir als beruflicher Standort ideal erschien, und legte los.

Die ersten Kunden bekam ich durch Zeitungsanzeigen, heute läuft alles über das Internet. Der Start für meine Selbstständigkeit liegt jetzt dreizehn Jahre zurück.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, über das Leben und die Erlebnisse anderer zu schreiben? Oder sind auch Sachbücher für Sie denkbar?

Annette Piechutta:

Das Leben anderer Menschen aufzuschreiben, ist außerordentlich bereichernd. Ich erfahre so viel: Erschütterndes, Bewegendes, Kluges … Wie eine Schauspielerin schlüpfe ich für eine gewisse Zeit in ein anderes Leben, versuche als Ghostwriterin so zu fühlen, zu denken, wie der Mensch, der mir seine Erlebnisse erzählt.

Ich bin jedes Mal tief bewegt über das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird. Das ist wichtig. Denn ohne Vertrauen funktioniert keine fruchtbare Zusammenarbeit. Das gilt auch für Sachbücher, die ich ebenfalls schreibe – sehr gerne sogar. Mich muss das Thema interessieren und es sollte immer eine persönliche Note haben. Ist die Anfrage zu akademisch, gebe ich an erfahrene Kolleginnen weiter.

Was motiviert Menschen, zum Teil sehr private Dinge in eine Buchform und an die Öffentlichkeit zu bringen?

Annette Piechutta:

Es geht fast immer um die Aufarbeitung, seinem Leben eine Struktur zu geben, herauszufinden, warum die Dinge so und nicht anders gelaufen sind. Die Familie soll die eigene Sicht erfahren, Kinder sollen begreifen, die Öffentlichkeit soll zum Nachdenken angeregt, eventuell sogar gewarnt werden.

Es gibt Bücher, die haben Beziehungen gerettet. Man darf nicht vergessen, ich habe als Ghostwriterin einen anderen Blick auf das Geschehen, bringe die Lebensgeschichten so rüber, dass sie einerseits vielleicht erschüttern, andererseits aber menschlich nachvollziehbar sind.

Erfahrung, Einfühlungsvermögen, Kompetenz. Was glauben Sie, ist Ihre wichtigste Eigenschaft, um Ihre Arbeit so erfolgreich tun zu können?

Annette Piechutta:

Nach weit über vierzig Büchern, die ich mittlerweile geschrieben habe, hoffe ich, über alle drei Eigenschaften zu verfügen. Die wichtigste ist sicherlich Empathie. Nur gut schreiben zu können, reicht für den Beruf einer Ghostwriterin nicht. Kaum ein „Autor“ erzählt mir auf Anhieb alles, was ich wirklich brauche, um ein authentisches, einfühlsames und spannendes Buch zu schreiben. Ich muss erspüren, was blieb ungesagt, wo muss ich nachfragen, aber so, dass derjenige sich nicht gekränkt fühlt, sein Gesicht nicht verliert.

Schwierig sind Lebensgeschichten, in denen versucht wird anzuklagen. Die Gefahr besteht immer dann, wenn es um verletzte Gefühle, gescheiterte Liebesbeziehungen geht. Doch es hat niemals nur einer recht. Es gibt nicht nur Gut und Böse. Auch käme kein Buch glaubwürdig rüber, wenn es so geschrieben stünde. Hier muss ich sehr vorsichtig versuchen, dass der Erzähler seine charakterlich zweifelhaften Seiten aufdeckt, vielleicht sogar Selbstkritik übt.

Fühlen Sie selbst manchmal Betroffenheit, wenn Sie die Lebensgeschichte eines Menschen erzählt bekommen? Haben Sie vielleicht Beispiele?

Annette Piechutta:

Ich fühle mich oft sehr betroffen. Ich denke hier an das Leben eines Mannes, der seit seinem siebzehnten Lebensjahr unter Angst- und Panikattacken leidet, wovon kaum einer weiß, und der trotzdem beruflich und privat außerordentlich erfolgreich ist. Wie es ihm immer wieder gelingt, mit dieser kräftezehrenden Herausforderung umzugehen, und wie pfiffig er agiert, um sein Handicap nicht preiszugeben, das beeindruckt mich sehr.

Ich denke an die Geschäftsfrau, die manisch-depressiv ist, mit einem Sohn, der unter der gleichen Krankheit leidet. Als sie mir ihr Leben erzählte, machte mich das betroffen, andererseits lachten wir uns beide kaputt. Diese Frau hat einen tollen Humor. Aber nicht selten blieb mir das Lachen im Halse stecken.

Ich denke an die trockene Alkoholikerin, die neun Jahre, vier Monate und zwölf Tage alkoholabhängig war. Hier machte mich nicht die Tatsache an sich betroffen, es gibt ja in unserer Gesellschaft sehr viele Menschen mit diesem Problem, sondern es war wieder die Art und Weise, wie sie ihre Schwachstelle jahrelang kaschierte, was sie sich alles einfallen ließ, um nicht als Trinkerin entlarvt zu werden. Wie anstrengend so ein Leben ist, kann man sich kaum vorstellen.

Empathie, ja, Freundschaft, nein? Gibt es manchmal so etwas wie eine Gratwanderung zwischen der Ghostwriterin, dem Menschen Annette Piechutta und dem Kunden? Wie gehen Sie damit um?

Annette Piechutta:

Wenn ich als Ghostwriterin eine Lebensgeschichte zu einem Buch mache, ist die Zusammenarbeit sehr intensiv. Es entstehen Freundschaften auf Zeit und nicht selten bin ich mit den Auftraggebern per Du. Ich weiß nach einem Buchprojekt oft mehr über denjenigen als die Familie selbst. Ja, und dann ist irgendwann die Zusammenarbeit beendet. Das ist auch für mich nicht einfach, und für einen kurzen Moment falle ich in ein Loch. Da nützt es auch nichts, wenn das neue Projekt schon wartet oder bereits angefangen ist.

Für die Autoren ist das Ende unter Umständen viel schlimmer. Sie erleben mich als gute Zuhörerin, als Frau mit Verständnis und Einfühlungsvermögen. Eigenschaften, die durch meinen Beruf geballt zum Vorschein kommen. Ich nehme mich als Person völlig zurück. Ich schreibe das mit einem Augenzwinkern, doch meine dunklen Seiten bleiben im Verborgenen. Da mag durchaus bei dem einen oder anderen der Wunsch entstehen, mit einer solch positiven Person auf Dauer befreundet zu sein.

Ich lasse die Kontakte selten ganz abreißen. Doch Treffen danach sind leider kaum mehr möglich. Meine persönlichen Freundschaften leiden schon sehr unter der vielen Zeit, die mein Beruf, den ich sehr liebe und mit großer Leidenschaft ausübe, von mir abverlangt.

Wer sich etwas von der Seele schreiben möchte, braucht dazu oft Ihre Hilfe. Haben Sie ein Konzept, nach dem Sie vorgehen, und welche Hilfen können Sie geben?

Annette Piechutta:

Die größte Hilfe ist das Gespräch an sich, da ich zunächst zuhöre, ohne zu unterbrechen, nicht werte und völlig unvoreingenommen bin. Eine weitere Hilfe ist die Struktur, die ich in das erzählte Leben bringe, möglicherweise eine neue Sicht auf die Dinge. Nicht unwichtig ist meine Verschwiegenheit. Und ein ebenso wichtiger Punkt, dass ich keine Bekannte oder Verwandte bin, also mit den persönlichen Verhältnissen wirklich nichts zu tun habe. Das alles führt letztendlich zu einem völlig unverkrampften Gespräch, bei dem oft Tränen fließen, ja, sogar sollen. Es beeindruckt mich immer wieder, welche Emotionen dabei geweckt werden und welche Verkrustungen sich schließlich lösen.

Nach einem solchen Buchprojekt fühlt sich derjenige tatsächlich erleichtert. Es geht ihm besser und so mancher ist danach absolut glücklich. Vor allem wenn sein Buch einen Verlag gefunden hat und mit einem hübschen Cover versehen in den Buchhandlungen und im Internet zu beziehen ist.

Ein Konzept habe ich nicht, von der professionellen Arbeit einmal abgesehen. Was das Zwischenmenschliche betrifft, setze ich auf mein Gefühl und handele aus meiner Intuition heraus. Die Zusammenarbeit gestaltet sich immer individuell, aber stets liebevoll und mit viel Respekt.

Mit welchen Wünschen und Vorstellungen kommen Ihre Kunden auf Sie zu? Was davon ist machbar und was nicht?

Annette Piechutta:

Nicht selten kommen Kunden zu mir, die davon überzeugt sind, dass ihre Lebensgeschichte ein Bestseller wird. Bestseller, das ist ein gefährliches Wort. Sie wissen nicht, dass Bücher, die sich sensationell gut verkaufen, GEMACHT werden. Alles hängt davon ab, was nach Drucklegung passiert. Hat jemand einen bekannten Namen, wird es in der Regel ein Selbstläufer. Ist jemand unbekannt, muss der Autor selbst einiges tun.

Er sollte in den sozialen Netzwerken präsent sein und hier über sein Buch berichten, Blogs eröffnen, Lesungen machen, Journalisten kontaktieren, mit den Lesern in einen Dialog treten, ob unter Pseudonym oder seinem richtigen Namen. Das Marketing, die PR, das Engagement von Verlag und Autor führen letztendlich zum Erfolg. Wenn die Begeisterung der Leser hinzukommt, die Weiterempfehlung von Mund zu Mund, ist vieles möglich. Und Träume sind erlaubt …

Was ich ihm versprechen kann, ist, dass ich all meine Empathie und mein schriftstellerisches Können in sein Werk einfließen lasse. Angefangen von einer spannenden Einführung, dem „richtigen“ ersten Satz, einem packenden ersten Absatz bis hin zu einem Handlungsverlauf, der den Leser fesselt, und Dialogen, die die Geschichte voranbringen. Vor allem arbeite ich stets so lange an dem Manuskript, bis der Kunde zufrieden ist.

Ein Buch ist geschrieben. Endet damit Ihre Arbeit oder können Sie Ihren Kunden noch weiter unterstützend beiseite stehen?

Annette Piechutta:

Nein, die Arbeit geht in der Regel weiter: die Überlegung, ein E-Book daraus zu machen, bei Amazon CreateSpace oder einem Books-on-Demand-Verlag zu veröffentlichen oder einen klassischen Verlag zu suchen, falls das Thema dies zulässt und eine bestimmte Auflagenhöhe zu erwarten ist. Ich arbeite gerne mit Verlagen zusammen, die sich an eine geringe Auflage trauen und auch vor Themen, die vielleicht nur einen kleinen Leserkreis ansprechen, nicht zurückschrecken.

Ist ein Verlag gefunden, stehe ich weiterhin mit meinem Rat zur Verfügung, auch was das Marketing und zum Beispiel Agenturen betrifft, die sich auf die PR von Büchern spezialisiert haben.

Wie Sie sagen, haben Sie derzeit einen Vorlauf von mehreren Monaten für ein neues Projekt. Können sich Menschen mit Ihren Lebensgeschichten trotzdem schon heute an Sie wenden? Vielleicht auch schon die Zusammenarbeit mit Ihnen vorbereiten?

Annette Piechutta:

Ja, unbedingt. Es ist ja völlig normal, dass ein Handwerker – und das ist ein Ghostwriter letztendlich – an Projekten arbeitet. In der Regel gibt es eine Warteliste, und damit diese nicht ausufert, sollten konkrete Absprachen getroffen werden. Manchmal ist es auch so, dass ein Autor die Zusammenarbeit unterbrechen muss, aus welchen Gründen auch immer, oder der Beginn muss aus Zeitgründen in das nächste Jahr verlegt werden. So ergeben sich immer mal wieder Lücken.

Viele Autoren schätzen es, zu wissen, dass ihr Buch geschrieben wird. Sie haben, auch wenn es noch dauert, einen ungefähren Termin. Sie können ihr Thema vorbereiten, sei es durch intensives Erinnern, Notizen, das Sammeln von Material. Mit den Interviews kann oft schon während der Endphase des vorherigen Projektes begonnen werden. Auch Vorfreude gehört zu einem erfolgreichen Buchprojekt.

Vielen Dank für das Interview Frau Piechutta !