Melanie Vijoglavic

Melanie Vijoglavic

HAYAG International e.V.
2. Vorsitzende


Wie wunderbar ist es doch, dass niemand auch nur einen Augenblick warten muss, um die Welt zu verbessernAnne Frank

Es gibt Wahrheiten, die erzeugen ein Unbehagen. Das eigene Gewissen regt sich. Eine dieser Wahrheiten ist wohl die Antwort auf die Frage: Basiert nicht unser Wohlstand hier auf Kosten der armen Länder - wie z. B. den Philippinen? Dennoch werden die meisten von uns sich wohl eher weiterhin dem Erhalt dieses Wohlstandes widmen, als etwas aktiv gegen Ungerechtigkeiten wie diese zu unternehmen. Nicht so Melanie Vijoglavic. Auf meine Frage nach dem „Warum“ antwortet sie: „Ich möchte am Morgen noch in den Spiegel schauen können.“ Und dann erzählt Sie über Ihr Projekt HAYAG International.

Frau Vijoglavic, wofür steht Hayag International und wie verlief die Entwicklung hin bis zu dem heutigen Förderverein?

Melanie Vijoglavic:

HAYAG bedeutet Licht und ist ein Kinder-Hilfsprojekt auf den Philippinen. Licht, das wir den Ärmsten schenken möchten – nach dem Motto „Bildung gegen Armut“. Denn eines ist klar: Bildung ist wohl der einzige Weg um diesen benachteiligten Kindern (vor allem trifft es dabei noch die Mädchen) wirklich NACHHALTIG und vorausschauend helfen zu können. Vorausschauend, rechtzeitig und „sanft“ zu helfen – damit es gar nicht erst so weit kommt, dass sie (und damit noch mehr Menschen!!!) aus ihrem eigenen Land, aus ihrer Heimat flüchten müssen um zu überleben.

 

Das Projekt HAUS HAYAG – geboren im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres – gibt es seit 2004. Im ersten Jahrzehnt wurde das – entsprechend kleine – Projekt vom engsten Netzwerk der Gründerinnen getragen. Am Puls der Zeit aber reichte uns das nicht mehr: Wir wollten und mussten einfach „mehr“ helfen. Nach und nach nahmen wir mehr Kinder im HAUS HAYAG auf und akquirierten und fanden mehr aktive Unterstützer. Mit der Gründung des Fördervereins HAYAG International e. V. gaben wir dem Projekt 2011 schließlich den richtigen Rahmen für unsere ganz gezielte und fundierte Hilfe. Nach Erdbeben und Taifun brauchten „unsere Kinder“ dringend ein anderes Zuhause.

So schafften wir es im Juni 2013 ein neues, sicheres – massiv aus Stein gebautes – HAUS HAYAG zu erwerben. Mittlerweile ist es sogar bereits vollständig abbezahlt – Dank unzähliger kleiner und einiger mehr als großzügiger Spender (Engel?). Bis zu 40 Mädchen könnten im neuen HAUS HAYAG aufgenommen werden. Könnten? Derzeit sind wir leider mit 27 Mädchen an unsere finanzielle Obergrenze gestoßen. Wunderschön jedoch ist, dass wir heute bereits, durch die neu hinzugekommenen Unterprojekte oder erweiterten Hilfssäulen, weit mehr als 200 Kinder unterstützen – für ein besseres Leben, für eine Zukunft (in Würde).

In welchen Verhältnissen leben die Straßenkinder auf den Philippinen?

Melanie Vijoglavic:

(Ver)hungern oder den eigenen Körper verkaufen? Lautet die grausame Wahl der ärmsten Mädchen in den Elendsvierteln von Cebu City. UNICEF schätzt die Zahl der prostituierten Kinder weltweit auf knapp fünf Millionen – besonders hoch ist dabei der Anteil der Kinderprostitution auf den Philippinen. Für Pädophile ist Sextourismus ein Weg, ihre Neigung vermeintlich frei von der Gefahr einer Strafverfolgung – weit weg von den heimischen Behörden – auszuüben.

Männer verlangen dabei gezielt nach jungen Mädchen, weil sie bei diesen irrigerweise eine geringere Gefahr der Infizierung mit HIV oder sonstigen Geschlechtskrankheiten vermuten. Die Mädchen, die dabei missbraucht und zur Prostitution gezwungen werden, geraten in die Falle von Menschenhändlern oder werden von ihren Familien direkt an Bordelle und Agenturen verkauft.

 

Abgesehen von der Prostitution leben unzählige Familien mit ihren Kindern schlicht und einfach im Dreck. Der blanke Straßenrand, das stinkende, ausgetrocknete Flussbett oder auch die Müllhalde ist ihr Zuhause. Die Kinder besitzen keine Kleidung, keine Schuhe und oftmals vergeht ein Tag, an dem sie nicht einen einzigen Bissen zu essen bekommen (ungewiss für sie, ob es morgen anders sein wird!).

Die Philippinen haben eine demokratische Verfassung. Wie kann es sein, dass dort solche Missstände herrschen?

Melanie Vijoglavic:

Demokratie? Theoretisch ja – aber die Qualität der Demokratie? Fakt ist, dass auf den Philippinen nach wie vor Korruption, Armut und Gewalt herrschen. Die „Zeit“ sprach vor kurzem dabei von einem „Graubereich zwischen Demokratie und Diktatur“ und nannte es „Demokratie mit langen Todeslisten“. Das ist die Realität und ganz oben auf der Liste stehen leider die Kinder – die unschuldigen, ärmsten Menschen.

Ihr Hilfsprojekt basiert im Wesentlichen auf drei Säulen. Welche sind das?

Melanie Vijoglavic:

Die 1. Säule „RESIDENTIAL CARE“ bezeichnet die ganzheitliche Betreuung junger Mädchen im HAUS HAYAG. Dieses Projekt bildet die Basis und Bedingung für die zwei weiteren Säulen. Dabei nehmen wir bedürftige Mädchen ab 14 Jahren für eine gewisse Zeit im Projekthaus auf. Unsere „HAYAG-Girls“ stammen aus entlegenen Gegenden, meist sind sie Waisen oder Halbweisen. Wir ermöglichen es ihnen die Schule zu besuchen, eine Ausbildung zu machen oder zu studieren. Damit die Mädchen zu ihrem eigenen Unterhalt beitragen können, betreiben sie einen kleinen Catering-Service. Ein HAYAG-Mädchen darf so lange im Haus wohnen, bis es selbstständig und unabhängig ihr Leben bestreiten kann.

„EDUCATION CARE“ nennen wir die 2. Säule, mit der HAYAG es noch mehreren Kindern ermöglicht die Schule zu besuchen. Mit diesem Unterprojekt arrangieren und fördern wir derzeit die Schulbildung für 35 Kinder ab 6 Jahren: Die Schüler/innen wohnen bei ihren Familien im Ort. Ihre Eltern sind jedoch zu arm, um für die Bildung aufkommen zu können. Wir finanzieren alle erforderlichen Schulmaterialien, Pflicht-Uniform, Schul- und Fahrtgeld. Während der Schulzeit geben die HAYAG-Girls „Residentials“ den Kindern jeden Samstag „Nachhilfe“ im Projekthaus, während der Ferien sogar täglich.

 

Mit der 3. Säule, dem „STREET CHILDREN CARE“ leisten wir die Grundversorgung für Straßenkinder. Jeden Sonntag sind bis zu 180 Straßenkinder eingeladen, im Haus HAYAG zu essen. Zum Sattwerden für die Hungrigen kochen und servieren unsere HAYAG-Girls eine nahrhafte Mahlzeit – die ganz Kleinen werden liebevoll gefüttert. Im Rahmen dieses Teilprojekts bringen wir den Kindern auch die Grundhygiene bei: Waschen, Zähneputzen und Essen mit Besteck. Die Kinder bekommen ihr erstes Paar Schuhe (Flip-Flops!) sowie saubere Kleidung und lernen einen Termin zu einer bestimmten Zeit wahrzunehmen. Für uns ist das selbstverständlich, jedoch nicht für die Straßen- und Slumbewohner. Gibt es etwas Besseres, als den Hunger ärmster, unterernährter Kinder stillen zu dürfen?

Wie läuft die Kooperation mit den staatlichen Institutionen? Bekommen Sie Unterstützung und wie ist es mit der Bürokratie?

Melanie Vijoglavic:

Wir werden uns nie wieder über die Bürokratie in Deutschland beschweren. Das ist gefühlte „Komfort-Zone pur“ im Gegensatz zu den Philippinen. Denn dort heißt es nur Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Mit dem Hauskauf und der Erweiterung unseres Projektes um die zweite und dritte Hilfssäule, waren wirklich Nerven wie Drahtseil angesagt: Die offizielle und endgültige Genehmigung für das Projekt HAYAG wie es jetzt ist, hat über eineinhalb Jahre gedauert.

Gekoppelt mit zahlreichen Umbau-Maßnahmen am Haus, so musste zum Beispiel eine Isolierstation und ein Krankenzimmer eingerichtet werden. Außerdem sind ordentliche Summe an Geldern in die Staatskasse geflossen und von den zig Anträgen (tonnenweise Papier!), die ausgefüllt werden mussten, ganz zu schweigen. Wir wurden auf Herz und Nieren – besonders vom philippinischen Amt „DSWD“ (Department of Social Welfare and Development) – geprüft.

ABER, was uns zunächst unverständlich und fassungslos erschien, denn schließlich wollen wir ja nur von ganzem Herzen helfen, hat auch seine gute Seite und vollkommene Berechtigung. Denn wenn man als Deutsche auf den Philippinen ein Haus mit Duzenden von jungen Filipinos „betreibt“, dann sollte und MUSS da auf jeden Fall ganz genau hingeschaut werden!

Als deutsche Hilfsorganisation, treffen Sie auf den Philippinen auf eine vollkommen andere Kultur. Wie wirkt sich das bei Ihrer täglichen Arbeit aus? Was müssen beide Seiten noch lernen?

Melanie Vijoglavic:

Ich glaube, die kulturellen Unterschiede kann man – von außen betrachtet und/oder wenn man zumindest nicht unmittelbar damit konfrontiert ist – nur unterschätzen. Das ist uns klar geworden in der Zusammenarbeit mit den Filipinos.

Und versuchen wir noch so sensibel, tolerant, achtsam und respektvoll im gemeinsamen Umgang und in der Kommunikation zu sein, so stoßen wir trotzdem regelmäßig an unsere Grenzen – die Grenzen des Verstehens, mit dem Wissen, dass es andersherum genauso ist. Straßenszene: Vor unserem ehemaligen HAUS HAYAG wohnt ein Vater mit seinen 7 Kindern (von 1 – 11 Jahren) auf der Straße. Die Mutter, seine Ehefrau, hat er (betrunken und/oder unter irgendwelchen Drogen) totgeschlagen. Jeder im Viertel weiß um den Mord. Keiner zeigt ihn an. Sperrt man den Vater weg, werden die 7 Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit auch sterben, verhungern.

Was beide Seiten bezüglich der unterschiedlichen Kultur noch lernen müssen? (Noch) mehr, intensiver und offener miteinander zu sprechen, beziehungsweise „andersartige“ Dinge, Situationen und Verhaltensweisen gleich anzusprechen und zu hinterfragen – um verstehen oder mindestens akzeptieren zu können. Nach Meister Rilke: „Es gibt immer Gründe für das Verhalten von Menschen.“

Natürlich möchten Spender auch immer sicher sein, dass ihr Geld zu 100% bei den Kindern ankommen. Könnten Sie bitte den Weg des Geldes transparent machen?

Melanie Vijoglavic:

Was uns differenziert ist, das wir jedem Mitglied und jedem Spender garantieren können, dass ihr Beitrag wirklich zu 100 Prozent bei den Kindern im HAUS HAYAG ankommt. Wir arbeiten rein ehrenamtlich und jegliche administrative Kosten oder Ausgaben für Werbung tragen wir von der Vorstandschaft persönlich. Der Beweis? Unser Wort und für diejenigen, die lieber dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ folgen: Als gemeinnütziger Verein sind wir verpflichtet unsere Buchhaltung offenzulegen. Da steht es dann Schwarz auf Weiß.

Sie finanzieren sich ausschließlich über Spenden. Wie ist es um die Spendenbereitschaft bestellt? Schließlich sind die Philippinen weit weg und Not und Elend gibt es auch in Europa und Deutschland inzwischen genug.

Melanie Vijoglavic:

Zuerst einmal ein unsagbares Dankeschön an alle unsere Mitglieder und diejenigen, die uns so großartig und auch regelmäßig mit Einmalspenden unterstützen. Das ist die wunderschöne Seite. Andererseits passiert es leider oft, dass man von uns nahezu eine Rechtfertigung verlangt „wieso wir denn auf den Philippinen helfen würden, denn schließlich gäbe es ja auch genügend Armut in Deutschland“.

Achtung, hier ist die „Armut der Deutschen im eigenen Land“ gemeint und bezieht sich nicht auf die unnennbare Flüchtlingstragödie. Unsere Antwort auf die Armut in Deutschland? Bei uns muss KEINER verhungern. Es muss KEIN (deutsches) Kind (in Deutschland) an Hunger oder den Folgen der Unterernährung sterben.

 

Ihre anfängliche Frage „unser Wohlstand auf Kosten der armen Länder?“ JA, denn uns, den Industrienationen, geht und kann es nur so gut gehen, weil und wenn es anderen schlechter geht. Wenn wir andere ausbeuten!? Unser Lebensstandard geht auf Kosten der Menschen in den Entwicklungsländern. Wieso wir uns verpflichtet fühlen auch auf den Philippinen zu helfen – nicht „nur“ vor Ort, in der Region?

Ganz einfach weil mein Kaffee, meine Bananen, meine Kleidung, mein Notebook, mein i-Phone etc.…. auch NICHT aus Deutschland und schon gar nicht nicht aus der Region. Übrigens ist fast die gesamte, weltweite Halbleiter-Produktion auf den Philippinen angesiedelt. Finden Sie mal ein Gerät, in dem kein Halbleiter verbaut ist!

Unter welchen Eindrücken stehen Sie nach einem Abschied von den Straßenkindern und welche Gedanken begleiten Sie dann meist?

Melanie Vijoglavic:

Eindrücke? Gedanken? Es ist einfach ein absolutes Wechselbad der Gefühle. Ich empfinde Demut, große Demut. Fühle Traurigkeit, Verzweiflung, Schuld und Scham. Aber auch Glückseligkeit, Herzenswärme und reine Liebe, wenn ich an die Menschen und Kinder denke – und glauben Sie mir, noch nie habe ich (hier in Deutschland) in so glückliche, zufriedene Augen gesehen wie in die der Menschen in den Straßen von Cebu City. Jeder Besuch fühlt sich wie eine „Erdung“ an und ist wie ein Urlaub für die Seele – trotz oder gerade wegen der unsagbaren Armut der Menschen.!?

Über Melanie Vijoglavic: Mit dem lebenslangen Lernen als Grundvoraussetzung führte mich mein beruflicher Werdegang oder der „Fluss des Lebens“ von der Arzthelferin, dem Studium der Sozialpädagogik, der Eventmanagerin, hin zur Journalistin. Heute mache ich als freie Journalistin das, was mir wahrscheinlich am besten liegt und meine Leidenschaft ist: kommUNIKATion. Als Freelancer unterstütze ich Unternehmen in ihrer „einzigartigen“ KommUNIKATion und ehrenamtlich - mit Leib und Seele, Herz und Verstand - das Kinder-Hilfsprojekt HAYAG auf den Philippinen.