Daniela Brotsack
Daniela Brotsack

Daniela Brotsack

EXLIBRIS-D Die RichtigSetzerin
Inhaberiin


Es ist mehr wert, jederzeit die Achtung der Menschen zu haben, als gelegentlich ihre Bewunderung. Jean-Jacques Rousseau

Vor einigen Tagen rief mich Daniela Brotsack an. Wir kannten uns bereits und während des Gesprächs lenkte sie meine Aufmerksamkeit auf ein interessantes Thema. „Glauben Sie, dass eine Verkäuferin im Supermarkt und ein Top-Manager in der Wirtschaft wirklich verdienen was sie verdienen?“, lautete ihre Frage an mich. Dabei ging es ihr um eine wirklich gerechte Entlohnung aber auch um den gedankenlosen Umgang mit dem Wort "verdienen".

Frau Brotsack, sprechen wir in dem Zusammenhang einmal über den „equal-pay-day“. Was hat es damit auf sich?

Daniela Brotsack:

Bis vor ein paar Jahren wusste ich selbst nichts mit dem Begriff anzufangen. Dann lud mich eine Bekannte zum Clubabend eines internationalen Frauennetzwerks ein. Als ich dann 2009 selbst Mitglied beim BPW (Business Professional Women) Club Salzburg (http://www.bpw.at) wurde, meldete ich mich gleich im nächsten Jahr freiwillig, als es hieß, die Menschen in der Salzburger Innenstadt für den EPD zu sensibilisieren. Der Equal-pay-day (http://www.equalpayday.de) ist der Tag, bis zu dem eine Frau durchschnittlich arbeiten muss, um den gleichen Lohn/das gleiche Gehalt zu erhalten, wie ein Mann bis zum 31. Dezember des Vorjahres. 2013 war das in Österreich der 5. April und in Deutschland der 21. März.

Natürlich gibt es verschiedene Berechnungen und es wird auch viel diskutiert über die Richtigkeit der Angaben. Außerdem gibt es Branchen, in denen es keine unterschiedliche Bezahlung gibt. Dennoch: Es gibt viele Berufe, in denen Frauen von vorne herein schlechter bezahlt werden. Ich war erstaunt, als ich erfuhr, dass es sogar in Rechtsanwalts-Kanzleien gravierende Unterschiede in der Bezahlung bei Männern und Frauen gibt – wohlgemerkt für die gleiche Ausbildung und Arbeit!

 

„Achtung verdient, wer erfüllt, was er vermag“, sagte einst Sophokles, der griechische Dichter. Sehen Sie da noch einen Bezug zur Gegenwart?

Daniela Brotsack:

Meine Beobachtung ist, dass es heutzutage an Achtung und Wertschätzung untereinander oft fehlt.

In der Wirtschaft von heute zum Beispiel ist der Bezug zu einem großen Teil verloren gegangen. Wenn man hört und liest, dass Menschen von den Früchten ihrer Arbeit ihr Leben nicht mehr bestreiten können, während andere nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld, gibt es eine gewaltige Schieflage.

Ich denke, dass gerade in den oberen Gefilden der Entscheider (Politik, Oberes Management etc.) vielerorts die Bodenhaftung verloren gegangen ist. Menschen haben unterschiedliche Begabungen. Das ist wichtig und auch richtig. Aber ist es auch richtig, die Arbeit des einen Menschen beispielsweise 60 Mal höher zu bewerten, als die Arbeit eines anderen? Ist es nicht anmaßend, hier eine Entscheidung zu treffen?

Ich habe immer das Gefühl, dass viele der Wirtschaftsbosse nicht mehr begreifen, dass ihre Position auch wertlos ist, wenn es keinen in den unteren Etagen gibt, der seine Arbeit gut macht.

Daher wäre es meiner Meinung nach auch sinnvoll, wenn jeder Entscheider einmal erleben würde, was es bedeutet, den ganzen Tag körperlich zu arbeiten und dann mit dem Mindestlohn eines einfachen Arbeiters auskommen zu müssen. Ich denke, dann würde die Wertschätzung für manche Art von Arbeit und auch für die anderen Menschen wieder steigen.

Und damit sind wir bei dem Thema, das mir persönlich sehr unter den Fingernägeln brennt: dem Wort „verdienen“. In den Medien wird gebetsmühlenartig wiederholt, dass Frauen weniger verdienen, als Männer. Diese Aussage ist falsch! Frauen erhalten für die gleiche Arbeit oft weniger Lohn, als Männer, sie verdienen aber das Gleiche! Wir sollten einmal alle darüber nachdenken, was das Wort verdienen eigentlich bedeutet!

Mir kann niemand erzählen, dass ein „Top-Manager“ 100 x mehr verdient, als sein „niedrigster“ Mitarbeiter, ein Friseur, eine Krankenschwester oder ein Müllfahrer. Vermutlich verdienen ca. 90 % der Menschen sehr viel mehr, als sie als Lohn erhalten. Solange wir an dem Wort „Verdienst“ als unpassende Bezeichnung für den Erhalt von Lohn, Gehalt etc. festhalten, wird sich der Schieflage auch wenig ändern, fürchte ich!

In unseren Köpfen – also, zumindest in meinem – hat das Wort „verdienen“ zwei Bedeutungen: zum einen im Sinn von Lob verdienen, weil man einfach gut ist, oder Dank verdienen, weil man jemandem geholfen hat; zum anderen das Geld, das man für geleistete Arbeit „verdient“. Nur, wer hat das Recht, zu beurteilen, wer was „verdient“? Ist das objektiv überhaupt möglich? Sagt ein Manager tatsächlich einem Mitarbeiter bei der Gehaltsverhandlung ins Gesicht: „So viel verdienen sie nicht“? Würde er nicht eher sagen: „So viel kann/will ich ihnen nicht zahlen“?

Wenn ich nun zum Beispiel sagen würde: „Ich verdiene 20.000 Euro jährlich weniger als Sie, Herr Wenderoth.“ Welche Wirkung hätte diese Aussage? Damit würde ich mich bewusst oder unbewusst eine Stufe unter Sie stellen und mich selbst klein machen. Ich würde damit also sagen, ich bin es nicht wert, den gleichen Lohn für meine Arbeit zu erhalten.

Verdienen hat meiner Meinung nach immer auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Und diese Tatsache lassen wir leider nur zu oft aus den Augen.

Ich habe recherchiert und es ich wirklich interessant, was ich gefunden habe:

Der Text zum Wort „verdienen“ bei Duden online lautet: „1. A) als Entschädigung für geleistete Arbeit in Form von Lohn, Gehalt, Honorar o. Ä. erwerben. B) einen bestimmten Verdienst haben. C) ein Geschäft machen, als Gewinn erzielen. 2. einer bestimmten Reaktion, Einschätzung o. Ä. wert, würdig sein; einer Sache aufgrund seines Verhaltens zu Recht teilhaftig werden.

Im „Wahrig Deutsches Wörterbuch“ (Jubiläumsausgabe Bertelsmann Lexikon Verlag) von 1975 findet sich unter „verdienen“ folgender Text: „1 Etwas ~ durch Arbeit, Leistung erwerben, erhalten: ein Anrecht auf etwas erwerben, Anspruch auf etwas haben 2 er hat es verdient (positiv) es steht ihm zu, er hat sich ein Anrecht darauf erworben; (negativ) es geschieht ihm recht; seine Leistungen ~ Beachtung, Lob; sein Brot ~ (fig.) seinen Lebensunterhalt erwerben; Geld ~; er verdient zehn Mark in der Stunde; er hat Strafe verdient; er hat sich sein Studium selbst verdient; er verdient Vertrauen 3 er verdient es nicht besser, nicht anders es geschieht ihm recht 4 sich seinen Unterhalt mit Gelegenheitsarbeiten ~; sich ein Taschengeld mit Stundengeben ~; ich habe es nicht um dich verdient, dass du mich so behandelst 5 eine verdiente Persönlichkeit jmd., der Bedeutendes geleistet hat, der Anerkennung beanspruchen darf; seine verdiente Strafe bekommen; sich um etwas od. jmdn. Verdient machen viel für etwas od. jmdn. leisten.

Unter dem Wort „Verdienst“ findet man folgende Synonyme: Erfolg, Großtat, Leistung, Werk; (gehoben) Meriten, Ruhmestitel

Sie sehen also, dass „Verdienst“ als Wort für den Erhalt von Geld für geleistete Arbeit eine schlechte Wahl ist.

 

Ein anderes Beispiel. Der gerade beendete Bundestagswahlkampf. Würden Sie sagen, dass unsere Politiker sich durch einen besonders sensiblen und treffenden Sprachgebrauch ausgezeichnet haben?

Daniela Brotsack:

Dazu muss ich sagen, dass ich die Informationen aus dem Radio, den Samstagszeitungen und dem Internet beziehe und nicht aus dem TV.

Haben Sie sich einmal die Wahlprogramme in leichter Sprache durchgelesen? Ich möchte hier keine Parteinamen nennen, aber meiner Meinung nach wurde da zum Teil im negativen Sinn ganze Arbeit geleistet: Die Sprache spottet jeder Beschreibung! Es wurde beinahe alles an sprachlicher Sensibilität missachtet, was nur möglich ist: Die Wörter „dagegen, kein, nicht“ werden im Überfluss verwendet.

Dabei ist allgemein bekannt, dass man gerade diese Wörter völlig vermeiden sollte. Denn welches Kind reagiert schon auf „Das darfst du nicht“? Es heißt auch, dass das Universum das Wort „nicht“ ignoriert. Gesetzt den Fall, das stimmt? Bei Wahlprogrammen würde ich erwarten, mehr gut bzw. klug formulierte Sätze zu lesen. Und zwar vor allem in solchen Kurzabrissen, welche die eher nicht so interessierten Bürger ansprechen sollen. Aber Fehlanzeige!

 

Haben Sie selbst schon einen Grund dafür gefunden, weshalb wir oft so destruktiv mit unserer Sprache umgehen?

Daniela Brotsack:

Sprache entwickelt sich, und zwar ziemlich schnell. In früheren Zeiten waren es die gelehrten Menschen, die Sprache geprägt haben, heute sind es jene, welche am lautesten schreien können oder die breiteste Masse (siehe Internet) erreichen. Und das sind unter Umständen auch Personen, die absolut kein Sprachgefühl haben. Früher gab es die klassischen Wörterbücher, heute gibt es zudem (Jugend-)Slangbücher. Und über Google finden sich plötzlich auch völlig falsch geschriebene Wörter, die dann – weil es im Internet steht – so übernommen werden. Ich will nicht sagen, dass Wissen im Internet schlecht ist, aber wir sollten vielleicht mehr hinterfragen und nicht alles einfach unzensiert nachplappern/nachschreiben, was andere uns vorsetzen. Und zwar egal, ob es um Schreibweise oder Inhalt geht. Ich habe oft das Gefühl, dass für beides die Orientierung verloren gegangen ist. Darum gibt es auch so viele Plattformen, auf denen Fragen über alles gestellt werden.

Wir denken oft nicht nach, bevor wir sprechen. Das passiert mir genauso, wie anderen – obwohl ich mich seit über 25 Jahren mit der deutschen Sprache beschäftige. Hinterher falle ich immer wieder über die Fallstricke, die ich selbst gelegt habe. Ich behaupte, dass ich mir selbst schon eine gewisse Sensibilität für Zweideutigkeiten und vieles mehr erarbeitet habe, doch es brauchte zudem noch eine Kundin, die meine Sinne in der Beziehung weiter geschärft hat, dass ich seitdem vieles hinterfrage und auch über das Thema „Verdienst, verdienen“ gestolpert bin.

In unserer schnelllebigen Zeit ist es schwierig, sich Zeit zu lassen mit einer Antwort auf eine Frage oder einem Kommentar zu einem Thema. Außerdem werden wir täglich manipuliert: durch Medien, Politik und Werbung. Es werden meiner Ansicht nach auch oft Wörter oder Redewendungen in den Sprachgebrauch aufgenommen, die durch eine Miss-Interpretation entstehen. Und nur, weil keiner nachdenkt, zieht die Sache Kreise – bis es im Duden landet.

Hier zwei Beispiele, die mir aktuell einfallen: „Das passt, wie die Faust aufs Auge“ – den Spruch gibt es schon lange. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, in der er dergestalt ausgelegt wurde, dass etwas überhaupt nicht passt. In den letzten Jahren wurde er ins Gegenteil verkehrt. „Sinn machen“ überflutet uns in den letzten Jahren geradezu. Hierzu wurde mir von einem Lehrer erklärt, dass dies kein deutscher Ausdruck ist, sondern nur eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen „make sense“. Im Deutschen müsste es heißen, dass etwas sinnvoll ist oder Sinn ergibt. Das klingt auch viel schöner.

Bei dem Thema fallen mir zwei Sprüche ein: „Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.“ von Marie von Ebner-Eschenbach und eine Aussage von Albert Einstein: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

 

Was hilft? Wie kann man Sprache besser, gezielter und treffender einsetzen?

Daniela Brotsack:

Das ist ein weites Thema. Was definitiv hilft, ist die alte Weisheit: „Erst denken, dann sprechen (handeln)“. Wir sollten uns alle bewusst machen, dass das gesprochene – und auch das geschriebene – Wort tatsächlich eine gewisse Macht hat. Es gibt in der deutschen Sprache viele Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung. Es ist immer sinnvoll, das eindeutig beschreibende Wort zu wählen.

Noch ein Tipp: Vermeiden Sie, sich selbst klein zu machen. Unterlassen Sie es, zu sagen oder auch nur zu denken, sie seien blöd, weil ihnen gerade was aus der Hand gefallen ist. Das ist kontraproduktiv!

 

Vielen Dank für das Interview Frau Brotsack!